Ethik und Technik in der Nutztierhaltung

Es diskutierten (v. l. n. r.): Milchviehhalterin Anita Lucassen, Lars Schrader, Leiter des Friedrich-Löffler-Instituts für Tierschutz und Tierhaltung, Moderatorin Christiane Müller, Prof. Wilfried Hopp, Leiter des Veterinädienstes des Landkreises Soest, und Prof. Wolfang Büscher, Institut für Landtechnik der Universität Bonn. Foto: ZVG

In der Gesellschaft gibt es einen immer lauter werdenden Protest gegen die landwirtschaftliche Tierhaltung, die mit den moralischen Ansprüchen vieler Menschen im Umgang mit Tieren in Konflikt gerät. Fachleute diskutierten auf der DLG-Wintertagung in Münster über Ethik und Technik in der Nutztierhaltung.

Die DLG-Ausschüsse für Tiergerechtheit und Technik in der Tierhaltung haben zur DLG-Wintertagung 2018 das spannende Thema der Ethik und Technik in der Nutztierhaltung in das Forum geholt. Den Anfang machte ein Impulsvortrag von Prof. Peter Kunzmann, der Angewandte Ethik in der Tiermedizin an der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover lehrt. Ihm folgten weitere Experten sowie eine Praktikerin aus dem Milchviehbereich, die kurze Statements zum Thema abgaben.

Ethik und Moral

Prof. Kunzmann stellte einen entscheidenden Wandel fest, nämlich dass sich sehr viele Menschen außerhalb der Landwirtschaft für Nutztiere und deren Wohlergehen kompetent und zuständig erklären. In vielen Schichten „der Bevölkerung“ würden sehr verschiedene Bilder über das, was in der Landwirtschaft passiert existieren, und sehr viele Urteile darüber, ob es gut oder schlecht sei, was in der Nutztierhaltung geschehe. Das sei keine Luxusdebatte, sondern eine grundsätzlich neue Überlegung, um den moralischen Status von Tieren neu zu überdenken. Tiere würden heute als subjektiv empfindungs- und leidensfähig gesehen und man billige ihnen Bedürfnisse zu.
Das führe zur Frage, was Menschen mit Tieren überhaupt in ihrer Moral machen? Dabei sei zu berücksichtigen, dass Ethik und Moral zwei verschiedene Dinge seien. Während Ethik die Reflexion auf die Prinzipien guten Handelns sei, verstehe man unter Moral die Wirklichkeit von Überzeugungen über das gute Handeln. Ethik sei weder Moral noch „Tierschutz plus“, sondern ein Nachdenken darüber, warum der Mensch bestimmte Dinge mit Tieren tue oder nicht.
Tierschutz bestehe im Kern darin, umfassend Rücksicht auf die Interessen der Tiere zu nehmen und die Verantwortung in allen Bereichen der Mensch-Tier-Beziehung wahrzunehmen. Die ethische Dimension bestehe darin, dies der Tiere willen zu tun. Wenn man Tiere nutze, sei es ein Gebot, die Belastung aufseiten der Tiere soweit es geht zu minimieren.
Das Thema des ethischen Tierschutzes habe sich durch Gruppen in der Gesellschaft zugeschärft, die nicht nur fordern, Tiere zu schützen, sondern auch eine umfassende Rücksicht auf die Interessen der Tiere einfordern. Gute Nutztierhaltung bedeute, sichere und bezahlbare Lebensmittel mit möglichst geringen Belastungen für die Tiere und für die Umwelt herzustellen. Das sei ethisches Prinzip und moralischer Anspruch zugleich. Darüber könne man mit anderen Menschen reden, vor allem wenn einem klar ist, wo diese herkommen und was die Voraussetzungen des eigenen Handelns sind. Die Technik, das Know-how und der Wille dafür seien da. Will man dies einer Gesellschaft kommunizieren, vor allem einem kritischen Teil davon, fehle nur die Überlegung, tierethische Aspekte in die Ausbildung miteinzubeziehen. Dies würde den Dialog und Diskurs zwischen der Landwirtschaft und der Gesellschaft außerordentlich befördern. Dazu Kunzmann: „Das würde auch der Bevölkerung gut tun. Denn die Landwirte sind die Kompetenten und können es den Menschen erklären. Und viele warten darauf, dass sie es tun.“

Technik

Prof. Wolfgang Büscher vom Institut für Landtechnik der Universität Bonn (D) sah vordergründig einen Zielkonflikt darin, viel Technik in der Tierhaltung einzusetzen und dies gleichzeitig mit ethischen Ansprüchen sowie Forderungen der Gesellschaft in Einklang zu bringen. Gleichwohl gebe es in der aktuellen Tierhaltung eine Kehrtwende hin zu einem geringeren Technikeinsatz, etwa durch die Entwicklung von Großgruppen in Ställen.
Ein aktueller Trend sei die Informationstechnologie, mit der berührungslos Informationen über den Zustand der Tiere und im weitesten Sinne auch über deren Wohlbefinden gesammelt würden. Die Auswertungstechnologie stelle hier ein riesiges Betätigungsfeld für die Zukunft mit großen Potenzialen dar. Die landwirtschaftliche Forschung sei dabei aber auf Sensorik aus dem außerlandwirtschaftlichen Bereich, etwa der Sportmedizin, angewiesen, da es bislang keinen eigenen Sensor nur für Tierwohlerhebungen gebe.
Prof. Buscher warf außerdem zwei Begriffe auf, die seiner Meinung nach diskutiert werden sollten, nämlich den eines verpflichtenden Prüf- und Zulassungsverfahrens und den eines Sachkundenachweises für Tierhalter. Beides würde dazu beitragen, ein verbessertes Standing in der Gesellschaft zu bekommen.

Tiere nicht entmündigen

Tiere möchten in der Haltung ihr natürliches Verhalten ausleben. Sie möchten keine Schmerzen und Leid erleiden oder erfahren müssen, betonte Lars Schrader, Leiter des Friedrich-Löffler-Instituts für Tierschutz und Tierhaltung. Das erfordere eine Haltungsform, die nicht zu Schäden und Stress bei den Tieren führt, und ein empathisches Management durch den Tierhalter, der frühzeitig Probleme erkennt und schnell behebt. Eine strukturierte Haltung und Funktionsbereiche mit unterschiedlichen Klimazonen seien beispielhafte Lösungen hierfür.
Bei der Tierhaltung in Ställen gebe es einen Konflikt zwischen den Erwartungen der Gesellschaft nach natürlicher Haltung und einer Gestaltung der Haltungsumwelt durch Technik. Sensortechnik könne hier beispielsweise den Tierhalter dabei unterstützen, durch die Lieferung wichtiger Daten das Management zu optimieren und gleichzeitig für den Verbraucher die gewünschte Transparenz zu schaffen.
Derzeit nehme man den Tieren noch alles ab; sie müssten keine Nahrung suchen und keine eigene Thermoregelung durchführen. Obwohl Nutztiere intelligente Lebewesen seien, entmündige man sie noch weitgehend. Diese Intelligenz sollte man für eine intelligente Stallhaltung stärker nutzen, beispielsweise für ein motivationsabhängiges Aufsuchen des Melkstandes. Die Vision sei eine Technik-Tier-Interaktion, bei der Tiere mit der Technik interagieren und so selber teilweise eine Kontrolle über ihre Haltungsumwelt erhalten.

Rechtliche Vorgaben beachten

Die Bedingungen des Tierschutzgesetzes und der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung müssten eingehalten werden. Erst wenn das erfüllt sei, dürfe man über Tierwohl reden, stellte Prof. Wilfried Hopp heraus. Der Leiter des Veterinärdienstes des Landkreises Soest (D) fragte gleichzeitig, ob das, was zurzeit Recht und Gesetz sei, auch das sei, was den Tieren gut tut? Wer Tiere in Deutschland nach der dort gültigen Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung halte, erfülle nicht den Grundsatz einer möglichst geringen Belastung der Tiere. Beispiele dafür fänden sich bei Mastschweinen, Geflügel und Milchkühen.
Prof. Hopp fordert die Tierhalter auf, offensiv mit dem Thema Tierschutz umzugehen. Denn diese Herausforderung werde alle in der Landwirtschaft in der Zukunft begleiten, egal ob man über Technik, Ethik oder amtsärztlichen Tierschutz rede.

Tierschutz nicht den Tierschutzverbänden überlassen

Anita Lucassen, Milchviehhalterin aus dem Oldenbuger Münsterland (D), gab ein klares Statement ab: „Wir tragen täglich die Verantwortung für jedes unserer Tiere – vom kleinsten Kalb bis zur ältesten Kuh. Jeden Tag begleiten wir unsere Tiere, und wir müssen uns jedes Mal bewusst machen, dass wir für jedes einzelne dieser Tiere die Verantwortung tragen.“ Eine artgemäße landwirtschaftliche Nutztierhaltung sei immer ein Kompromiss zwischen der Nutzung durch den Menschen und den natürlichen Ansprüchen der Tiere. Man muss deshalb sein Handeln tagtäglich neu danach beurteilen, welche Techniken nötig sind und auf welche man verzichten kann. Am Beispiel der Kälberenthornung und des Drenchens von neugeborenen Kälbern zeigte sie, wie diese Tätigkeiten auf dem Betrieb gehandhabt werden.
Wichtig sei es, auch über kritische Themen zu reden, z. B. in den sozialen Netzwerken, auf Hofführungen oder bei anderen Gelegenheiten. Die Erklärung seines eigenen Tuns dürfe man nicht den Tierschutzverbänden überlassen. Auch auf die Macht der Bilder ging sie ein, die Landwirte ins Netz stellen. Man müsse wieder Hoheit über die Bilder bekommen.

Ethik des Tieres darf nicht über die des Menschen gestellt

Anita Lucassen formulierte am Ende ihrer Ausführungen zwei Grundsätze für einen verantwortungsvollen Umgang mit Tieren: Die Ethik des Tieres darf nicht über die des Menschen gestellt werden, etwa indem durch Verzicht auf Enthornung Menschen gefährdet werden können. Des Weiteren darf die Folge auf einen Verzicht auf eine Technik nicht größeres Leid bei den Tieren verursachen, als durch die angewendete Technik entstanden wäre.

Bei der anschließenden Diskussion wurden unterschiedlichste Aspekte angesprochen, die von der Frage nach einer rassespezifischen Haltung von Nutztieren über die Tiergerechtheit bei der Nutzung von Hochleistungskühen bis zum Zusammenhang von Tierschutz und Tiernutzung reichten. Auch die Frage nach einem Sachkundenachweis für Tierhalter wurde noch einmal aufgeworfen, wo doch Tierschutz schon Teil der Ausbildung sei. Hier wurde auf das Beispiel des Pflanzenschutz-Sachkundenachweises verwiesen, der eine große Entspannung in die Diskussion gebracht habe. Die Gesellschaft akzeptiere vieles erst, wenn sie es schwarz auf weiß lesen könne.

In ihrem Schlusswort stellte Moderatorin Christiane Müller heraus, dass die Vorträge und die Diskussion wichtige Erkenntnisse gebracht hätten. Man habe viel erfahren, wohin sich die Nutztierhaltung entwickeln und worauf man künftig den Schwerpunkt ausrichten solle. Das, so die Vorsitzende des DLG-Ausschusses für Tiergerechtheit, stimme zuversichtlich.

- Bildquellen -

  • Podium Ethik Nutztierhaltung: ZVG
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