Ziegen sind eine Überlegung wert

Ziegenhaltung in Österreich - von der altbewährten biologischen Selbstversorgung zur modernen, erfolgreichen Spezialitätenerzeugung.

Die drei wichtigsten Wirtschaftsmilchrassen, welche alle aus der Schweiz stammen. Im Bild v. l. Saanenziege, Toggenburger Ziege und Gemsfarbige Gebirgsziege ©Maurer
Die drei wichtigsten Wirtschaftsmilchrassen, welche alle aus der Schweiz stammen. Im Bild v. l. Saanenziege, Toggenburger Ziege und Gemsfarbige Gebirgsziege ©Maurer
Die Ziege, als genügsame aber auch genäschige, zu Menschen meist sanfte, zu Artgenossen oft sehr streitbare, kletterfreudige und springlebendige ehemalige “Kuh des armen Mannes”, mit ihrer 10.000-jährigen Domestikationsgeschichte, kann in Relation zu ihrer Körpergröße als produktivstes Milchnutztier unserer Haustierlandschaft angesehen werden. Sie wurde zwischenzeitlich auch bei uns dank rund 9600 innovativen Haltern mit ihren 73.000 meckernden Nutztierpartnern inklusive einer rührigen Standesvertretung eine ernst zu nehmende Agrarsparte mit hohem Spezialitätenerzeugungsanspruch. Seit 1980 kam es in Österreich zu einer Verdopplung der Ziegenbestände, was keine andere Wiederkäuersparte bislang schaffte.

Kleinstrukturierte Haltung

Hübsche Steirerschecken-Jungtiere der hornlosen Variante ©Maurer
Hübsche Steirerschecken-Jungtiere der hornlosen Variante ©Maurer
Trotz ihres Eroberungszuges durch Feinkostabteilungen und Supermarktregale ist die Ziege das ideale Milchnutztier für Kleinbetriebe geblieben. Laut Statistik halten in Österreich derzeit 85 Prozent der Ziegenbauern nur ein bis neun Tiere in ihren artgerechten Laufställen. Die meisten Großbetriebe mit oftmals über hundert Tieren pro Hof finden sich im besonders aktiven “Ziegenland Oberösterreich”. Hier hat der regionale Landesverband mit Weitsicht die notwendigen Vermarktungsschienen über Molkereien fristgerecht und marktkonform für seine Mitglieder aufgebaut.

Saanenziege ist führend

Vor den mächtigen Hörnern der Pinzgauer Ziegen muss man sich in Acht nehmen. ©Maurer
Vor den mächtigen Hörnern der Pinzgauer Ziegen muss man sich in Acht nehmen. ©Maurer
Das Sprichwort: “Eine gut durchgezüchtete Rasseziege und eine inzuchtdegenerierte Mischmaschziege fressen dasselbe, leisten aber höchst Unterschiedliches!” tritt immer mehr in das Bewusstsein der Tierhalter. Deshalb setzen auch Österreichs Ziegenhalter vermehrt auf wirtschaftliche und robuste Zuchttiere mit Abstammungs- und Leistungsnachweis.
Nach Rassen gegliedert steht deshalb auch die weltweit meistgehaltene Ziegenrasse, die “edelweiße” Saanenziege, mit einem Anteil von 50 Prozent an erster Stelle. Die Rasse stammt ursprünglich aus dem namengebenden Schweizer Saanental. An zweiter Stelle folgen mit einem Anteil von 19 Prozent die Gemsfarbigen Gebirgsziegen und an dritter Stelle mit neun Prozent die Tauernschecken. Letztere sind im Bestand hochgefährdet, weshalb sie in der Öpul-Maßnahme “Erhaltung gefährdeter Nutztierrassen” förderbar sind. Zur großen Vielfalt der Ziegenrassen in Österreich tragen weiters bei die Burenfleischziegen (5 % Anteil), die Toggenburger Ziege (4 %), die ebenfalls gefährdete Pinzgauer aus dem Salzburgischen (3 %), die Bunte deutsche Edelziege (3 %), die Pfauenziegen (3 %), die steirische Scheckenziege (2 %) der man speziell in der hornlosen Variante als “Vierfachnutztier” (Milch, Fleisch, Fell und Förderung) interessante Entwicklungsmöglichkeiten prognostizieren kann, sowie weiters die Rassen (alle unter 1 %-Anteil) Walliser Schwarzhalsziege, Anglo Nubier etc.

Gefahr durch Hörner

Saanenziegen mit Nachwuchs trittsicher auch auf extrem steilen Weiden im
Saanenziegen mit Nachwuchs trittsicher auch auf extrem steilen Weiden im “Handarbeitszonen-Berggebiet” ©Maurer
Die wichtigsten Milchwirtschaftsrassen sind:
• Saanenziege,
• Gemsfarbige Gebirgsziegen und
• die ebenfalls aus der “eidgenössischen Wiege der europäischen Ziegenzucht” stammende Schweizer Toggenburgerziege.
Um die Verletzungsgefahr für Tier und Mensch durch Hörner zu mildern, werden insbesondere die Milchrassen vermehrt hornlos gezüchtet. Wo das aufgrund der komplizierten ziegenspezifischen “Hornfruchtbarkeitsgenetik” nicht möglich ist, werden die Tiere schon als Kitze veterinärmedizinisch fachgerecht unter Schmerzausschaltung enthornt.
Anhaltspunkte zu den möglichen Leistungen einer Milchziegenherde liefert die Bundesauswertung der Arbeitskreise Ziegenmilchproduktion des Landwirtschaftsministeriums. Die Daten des Jahres 2014 stammen aus Betrieben in den Bundesländern Salzburg und Oberösterreich. Demnach wiesen die teilnehmenden 29 Betriebe einen Duchschnittsbestand von 117 Tieren aus. Mit einer Kraftfuttergabe von durchschnittlich 218 kg pro Ziege wurden 651 kg Milch mit 3,43 % Fett und 3,13 % Eiweiß ermolken. Die Direktleistung pro Muttertier betrug 553 Euro bei einem Milchkilopreis von 84 Cent/kg; als Direktkosten fiel ein Betrag von 231 Euro pro Tier an. Die Direktkostenfreie Leistung betrug somit 322 Euro/Mutterziege und Jahr.
Ähnliche Ergebnisse zeigt auch eine Deckungsbeitragsstudie, die sich im österreichischen (Bio-) Ziegenbuch wiederfindet – und zwar für Milchziegen im Durchschnitt einen Deckungsbeitrag von 350 Euro und für Fleischziegen 70 Euro. Besonders erfreulich ist die Tatsache, dass in Österreich als Land mit der weltweit größten Biobauerndichte rund 90 Prozent der ermolkenen Ziegenmilch aus anerkannten Biobetrieben stammt.
Bei den Stallungen für Ziegen geht der Trend heute eindeutig zu Laufställen bzw. in kleineren Betrieben zu Boxenställen. Diese kommen den Bedürfnissen der Tiere am besten entgegen. Diese Stallformen sind zudem arbeitszeitsparend, denn alle Betreuungsarbeiten sind in einem Arbeitsgang zu erledigen.

Problem Kitzfleisch

Vorschriftsmäßig etikettierte Spezialitäten aus Ziegenmilch ©Maurer
Vorschriftsmäßig etikettierte Spezialitäten aus Ziegenmilch ©Maurer
Ein für die heimische Ziegenbranche schwer lösbares Problem in den letzten Jahren war der Überschuss an Kitzfleisch. Damit waren kaum kostendeckende Preise zu erzielen. Der Vermarktungsversuch einer Supermarktkette mit Bio-Kitzfeisch wurde leider wegen angeblichen Desinteresses der Konsumenten bis auf Weiteres eingestellt. Deshalb liegen auf der relativ neu gegründeten “Österreichischen Schaf-und Ziegenbörse” alle Hoffnungen unserer Ziegenbauern. Hier sind noch intensivere werbetechnische Anstrengungen nötig, um das ernährungsphysiologisch hochwertige Produkt Kitzfleisch einem größeren Kreis von Konsumenten zu jeder Jahreszeit näher zu bringen, und nicht nur wie bisher traditionell vornehmlich zu Ostern und Pfingsten.
Aber auch im Zuge einer wiederentdeckten, teilselbstversorgenden und sehnsüchtigen “Zurück zur Natur-Einstellung” vieler Stadtflüchtlinge und für etliche, nach überlebenswerten Produktionsalternativen suchenden, kleinen und mittleren bäuerlichen Familienbetriebe kann die Beschäftigung mit einem leistungsbereiten, handlichen und liebenswerten Haus- und Hoftier, wie unserer Ziege, interessante Wiedergeburtschancen mit hohem Zukunftspotenzial in sich bergen.

Gerhard Maurer, Graz

Buchtipp: Ein Ratgeber für die Praxis

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“Ziegenhaltung heute – Züchten und Halten von Milch- und Fleischziegen”, unter diesem Titel hat der direktvermarktende Bio-Ziegenzüchter und langjährige Zuchtverbandsobmann Gerhard Maurer vom Kleinpasslerhof bei Graz ein Fachbuch erstellt, dass zu den Standardwerken in diesem Bereich zählt. Das reich bebilderte Buch mit 229 Seiten ist kürzlich in dritter Auflage, vollständig überarbeitet neu erschienen. Zu beziehen ist es im Buchhandel bzw. beim L. Stocker Verlag zum Preis von 29,90 Euro. Inhaltlich richtet sich das Werk an gleichermaßen professionelle Landwirte und an Hobbyhalter. Der Themenbogen spannt sich von Rassekunde über Haltung und Gesundheitsthemen bis hin zu Gewinnung und Verarbeitung von Ziegenprodukten. Wirtschaftliche Kalkulationen ermöglichen zudem eine Abwägung von möglichen Kosten und Erlösen.

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