“Geordnete Märkte und eine neue Konsumethik”

Michael Rosenberger ist Moraltheologe und Umweltsprecher der Diözese Linz. Die BauernZeitung hat ihn zur Umweltenzyklika des Papstes befragt. Ein Gespräch über Marktmechanismen, die Herrschaftsfrage der Technik und eine neue Konsumethik.

In seiner Enzyzlika „Laudato si“ gibt Papst Franziskus eine wachrüttelnde Analyse ab. Er verurteilt die Gleichgültigkeit der Menschen gegenüber den Umweltproblemen. Sind die Menschen tatsächlich blind demgegenüber geworden?
ROSENBERGER: Ein Problem ist, dass wir in den vergangenen 200 Jahren eine wirtschaftliche Entwicklung durchgemacht haben, die atemberaubend ist und die uns, so würde ich behaupten, ein Stück weit überrollt hat. Ethische Mechanismen wurden nicht mit der gleichen Geschwindigkeit an die wirtschaftlichen Entwicklungen angepasst. In den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen heißt es, dass wir starke Institutionen brauchen. Momentan sind diese auf der Ebene der Weltmärkte und der Weltpolitik sehr schwach.

Welche Institutionen sind das?
ROSENBERGER: Politisch gesehen die Europäische Union. Die muss viel stärker werden, wenn man den Weltkonzernen etwas entgegensetzen will. Auf internationaler Ebene brauchen die Vereinten Nationen mehr Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten. Ich meine aber auch Institutionen wie die WTO, die Welthandelsorganisation. Lebensmittel werden weltweit gehandelt, die Regeln dafür aber sind schwach. Die WTO ist von ihrer Idee her gut gedacht, aber die Nationalstaaten blockieren.

In der Landwirtschaft werden Marktmechanismen kontrovers diskutiert. Sollen wir auf Angebot und Nachfrage vertrauen oder braucht es ein Regelwerk?
ROSENBERGER: Das braucht es absolut. Da bin ich auf einer Linie mit der katholischen Soziallehre, die schon vor 100 Jahren von der Marktordnung gesprochen hat. Wir brauchen geordnete Märkte. Eine solche Ordnung können nur die demokratisch gewählten Institutionen schaffen.

Wie soll das aussehen?
ROSENBERGER: Es gibt schon Regeln auf nationaler und EU-Ebene, etwa für den Arbeitsnehmerschutz, für Mindeststandards oder die Produktqualität. Ökologische Regelungen gibt es zu wenige. Diese sollten in die Marktordnung integriert werden – zum Beispiel mit einer Ökosteuer. Bei einer einheitlichen CO2-Steuer würde derjenige, der CO2 emittiert, dafür zahlen. Wer CO2 spart, hätte einen Kostenvorteil. Solche Systeme sind politisch noch sehr unterentwickelt.

Auch die kleinstrukturierte österreichische Landwirtschaft ist vom Weltmarkt abhängig. Wie soll sie da konkurrenzfähig sein?
ROSENBERGER: Zum einen müssen Landwirte ihre Spielräume nutzen, indem sie etwa ihren Abnehmerkreis möglichst regional gestalten und damit die Wertschöpfung über den Rohstoff hinaus auf den Hof holen. Diesen Weg gehen schon viele Landwirte. Am Weltmarkt braucht es globale Regeln. Eine Ökosteuer hätte, wenn sie auf CO2-Emittenten hinorientiert wäre, eine Positivwirkung für die Landwirtschaft. Und zwar deshalb, weil der Transport von Lebensmitteln deutlich teurer werden und damit ein Stück Regionalisierung stattfinden würde. Es würde sich nicht mehr lohnen, Butter aus Irland zu importieren.

Fehlt in der Politik der Mut zur Umsetzung oder fürchtet man negati­ve Auswirkungen für die Wirtschaft?
ROSENBERGER: Eine politische Maßnahme hat immer Gewinner und Verlierer. Glaubt man den Wirtschaftsforschern, würde in Österreich und Deutschland die Mehrheit der Wirtschaftsbetriebe profitieren. Die Minderheit, die verlieren würde, schreit allerdings sehr laut. Und da schreckt die Politik dann schnell zurück und macht lieber nichts. Das ist ein urmenschliches Verhalten. Man neigt dazu, lieber nichts zu tun, als jemanden weh zu tun. Das ist auch in der europäischen Politik zu beobachten.

Ein anderes Thema, das der Papst anspricht, ist das „technokratische Paradigma“. Der Papst anerkennt die Technik als wichtig für den Fortschritt, verurteilt sie aber auch. In der Landwirtschaft erleben wir eine rasante technische Entwicklung. Ist die Technik nun Fluch oder Segen?
ROSENBERGER: Ich würde die Begriffe Fluch und Segen nicht verwenden, weil sie stark religiös aufgeladen sind. Technik ist keine Religion, weder eine dämonische noch eine erlösende. Technik allein löst keine Probleme. Papst Franziskus stellt die Herrschaftsfrage: „Hat die Technik die Herrschaft über uns oder haben wir die Herrschaft über die Technik?“
Ein Beispiel aus der Landwirtschaft: Man will Dünge- und Spritzmittel re­du­zieren und entwickelt dafür die GPS-gestützte Technologie. Somit versuche ich eine Negativfolge der Technik, näm­lich, dass zu viele Spritzmittel am Acker sind, durch noch mehr Technik zu kompensieren. Das ist eine Möglichkeit. Eine andere Möglichkeit übersieht man dabei aber: Nämlich den Ein­satz von Spritzmitteln insgesamt zu hinterfragen. Diese Logik, Nachteile der Technik A durch Technik B auszugleichen, kritisiert der Papst. Da beherrscht uns die Technik. Ich muss die Freiheit haben, auch wieder eine Stufe zurückgehen zu können. Diese Freiheit mahnt der Papst ein.

Viele sagen aber, die Landwirtschaft müsse global gesehen effizienter werden, um – auch mit einem erhöhten Einsatz an Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln – die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Ist diese Schlussfolgerung falsch?
ROSENBERGER: Ja, definitiv. Studi­en zeigen, dass der Ertrag in äquatornahen Ländern im ökologischen Landbau höher ist als im konventionellen. Das größte Problem in den ärmeren Ländern ist der Bodenabtrag. Bei konventioneller Bewirtschaftung sind viele Flächen nach 20 Jahren nicht mehr landwirtschaftlich nutzbar. Außerdem können sich die Menschen dort die Dünge- und Spritzmittel gar nicht leisten. Um die Weltbevölkerung zu ernähren – das sagt der Papst übrigens in Übereinstimmung mit dem Agrarbericht der Weltbank – braucht es gerade in den ärmeren Ländern die kleinbäuerliche Landwirtschaft. Die bekommen wir nicht, wenn wir denen unsere Hightech-Landwirtschaft anpreisen.

Viele Menschen wol­len billige Lebensmittel, verlangen aber gleichzeitig, dass die Landwirtschaft unter höchsten Auflagen pro­duziert. Auf der an­deren Seite wird etwa beim Auto- oder Kleidungskauf nicht gespart. Papst Franziskus nennt das Konsumismus.
ROSENBERGER: Bei diesen Gütern ist der Konsum zu einer Art Religionsersatz geworden. Menschen, die den ganzen Samstag in Einkaufszentren verbringen, sind dafür so festlich gekleidet wie früher zum Sonntagsgottes­dienst. Konsum ist ein Selbstzweck geworden und das kritisiert der Papst. Bei Lebensmitteln wird hingegen um jeden Cent gekämpft. Es ist absurd, dass wir im Lebensmittelbereich einen Preiskampf haben, der so stark ist wie in keinem anderen Handelssegment.

Wie kommen wir aus dieser Wider­sprüchlichkeit heraus?
ROSENBERGER: Es braucht eine neue Konsumethik. In manchen Berei­chen gibt es schon eine Umkehr. Es bräuchte noch stärker den Herdentrieb, denn einen wesentlichen Teil der Kaufentscheidung fällen wir so, wie es alle machen. Eine große Verantwortung sehe ich auch bei den Kirchen, um das Bewusstsein zu schärfen, wieviel einem die Gaben Gottes wert sind. Der Erntedanksonntag ist nach Ostern und Weihnachten der meistbesuchte Gottesdienst – das ist eine Chance.

Der Papst nimmt je­den Einzelnen für eine notwendige Veränderung in die Pflicht. Viele sagen aber: „Ein Einzelner kann nichts bewirken“. Was soll man denen antworten?
ROSENBERGER: Solange jeder so denkt, kann man tatsächlich nichts verändern. Ich muss mich frei machen von der Frage, was ich als kleines Rädchen im großen Getriebe der Menschheit bewirken kann. Man muss es an­ders sehen: „Ich tu es einfach, weil ich spüre, dass es richtig ist. Und dann schauen wir, was passiert.“

Zur Person: Priester und Professor

Michael Rosenberger kommt aus Würzburg und ist 1987 zum Priester geweiht worden. Er ist Professor der Moraltheologie und lehrt an der katholischen Privatuniversität Linz, von 2006 bis 2010 war er deren Rektor. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in der Schöpfungsethik und der spirituellen Theologie. Seit 2004 ist er Umweltsprecher der Diözese Linz. Mit der Umweltenzyklika „Laudato si“ hat sich Rosenberger sehr intensiv beschäftigt. Der 2015 erschienenen Umweltenzyklika wurde und wird große Beachtung zuteil, weil Papst Franziskus damit erstmal die Herausforderung der Umweltzerstörung zum Thema eines päpstlichen Schreibens macht.

- Bildquellen -

  • Rosenberger: BZ/Pichler
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